Jennys Café - Sei vorsichtig was du dir wünschst

Wand hinter Bar
Bilder von Pixabay

Alessio betrat wieder einmal Jennys Café. Immer wenn er seine Ruhe brauchte, kam er hier her. Über der Bar hing ein Bild mit blauweissem Hintergrund. Jedes Mal las er den Spruch der darauf stand: „Sei vorsichtig, was du dir wünschst. Es könnte in Erfüllung gehen.“ Er fand den Spruch irgendwie komisch und doch blieben seine Augen jedes mal dran hängen. Es war das einzige Bild im Café. Hinter der Bar waren Regale angebracht auf denen Flaschen und andere Gefässe standen. Zwischen den Regalen wuchs eine Efeu Pflanze die Wand hoch. Links von der Bar begann ein Bücherregal, welches der linken Wand entlang, bis zum Fenster weiterging. Zwischen den zwei grossen Fenstern stand ein Feigenbaum in einem grossen Topf. Mit seinem dicken Stamm und den grossen grünen Blättern nahm er seinen Platz ein. Es waren nur wenige grün-violette Früchte am Baum. Mit seinen vier Meter Achtzig, kam er bis etwa einen Meter unter die Decke. Für einen Feigenbaum war er sehr schmal, aber er erfüllte den Raum mit leben.
Rechts und links des Eingangs war je eine kleine Gitterwand, an der Efeu wuchs.
Alessio holte das Buch, das er beim letzten mal angefangen hatte und setzte sich an seinen Lieblingstisch rechts neben dem Eingang. Abgeschirmt von der Gitterwand konnte er sich dort gut verkriechen.
Wie immer wenn er im Café war, fühlte er sich augenblicklich glücklicher. Bis eine braunhaarige Frau neben seinem Tisch auftauchte. Von ihr war er noch nie bedient worden, sie stand sonst hinter der Bar. Er las ihr Namenschild, auf dem der Name «Lia» stand.
„Was kann ich dir bringen?“, fragte sie.
„Wo ist Jenny?“, fragte er genervt zurück.
„Sie ist unterwegs, du wirst in den nächsten Minuten mit mir vorlieb nehmen müssen. Soll ich dir das übliche bringen?“
Alessio nickte, verschränkte die Arme und blickte auf den Tisch.
Kurz darauf stellte die Frau ihm seinen Kaffee hin.
„Tut mir leid für mein schlechtes Benehmen. Ich…“
Er brach ab und schaute auf den Tisch.
„Keine Sorge, ich nehms nicht persönlich. Ich habe deine Wut schon gespürt, als du reinkamst. Jemand muss dich ziemlich verletzt haben.“
Er seufzte und sagte dann: „Ist nicht so wichtig. Ist nicht das erste Mal, dass sich mein Bruder wie ein Idiot aufführt. Manchmal wünsche ich mir, dass ich ein Einzelkind wäre.“
In dem Moment als er das sagte, trat Jenny in den Raum. Sie blieb bei der Türe stehen und schaute nach unten. Dann schaute sie mit fragendem Blick zu Lia. Diese rollte mit den Augen und deutete mit dem Kopf in Richtung Bar. Bevor sie Alessios Tisch verliess, sagte sie noch: „Vielleicht hättest du mit ihm reden sollen, statt dir sowas zu wünschen.

Am nächsten Morgen. Alessio machte sich gerade Frühstück, als er ein Krachen aus dem Wohnzimmer hörte. Er ging rüber, um zu sehen was passiert war.
Seine Katze hatte das halbe Bücherregal abgeräumt. Mit sich zufrieden, sass sie dort und leckte ihr Fell. Alessio schüttelte den Kopf und hob die Bücher auf. Dabei kam ihm sein Fotoalbum in die Hände.
Er holte sein Frühstück, setzte sich aufs Sofa und blätterte im Album. Auf den ersten Seiten war alles normal. Fotos von ihm als Baby und Kleinkind. Dann kam die Geburt seines Bruders. Alessio dachte, dass er spinnt, als er dabei zusah, wie sich die Fotos vor ihm veränderten. Sein Bruder verschwand aus den Bildern.
Träumte er? Oder hatte er gestern zu viel getrunken? Leute verschwinden doch nicht einfach so aus Bildern.
Sein Telefon klingelte und er legte das Album weg. Sein Chef war dran. Er bat ihn früher zu kommen, um die halbe Schicht eines kranken Kollegen zu übernehmen. Die andere Hälfte übernahm eine andere Kollegin.
Er packte seine Sachen und fuhr zur Arbeit.

Am Abend waren er und sein Bruder bei seinen Eltern zum Essen eingeladen. Er hatte sich vorgenommen, sich mit ihm auszusprechen. Sein Bruder… Wie hiess er nochmal? Ah ja, Lars. Wieso begannen die Erinnerungen an ihn zu verschwimmen?
Als er bei seinen Eltern ankam, sah er, dass der Tisch nur für drei gedeckt war.
„Kommt, ehem.… kommt Lars nicht?“
„Wer ist Lars?“
Ja, wer war Lars schon wieder? Verzweifelt versuchte er an den letzten Erinnerungen festzuhalten. Wie sie zusammen einen Bach gestaut hatten, oder war das mit seinem besten Freund? Oder wie sie mit den Nachbarn fangen gespielt hatten. Da waren so viele Kinder gewesen, war da dieser Lars wirklich dabei gewesen?
„Ja war er, er ist mein Bruder“, sagte er leise zu sich.
Dann kam ihm der Spruch über der Bar im Café in den Sinn.
„Ich muss los!“, sagte er zu seinen Eltern und rannte los.
Immer wieder wiederholte er den Satz in seinem Kopf: „Lars ist mein Bruder, ich wünsche ihn mir zurück. Lars ist mein Bruder. Lars ist mein Bruder.
“Als er endlich beim Café ankam, wusste er nicht mehr, warum er den Satz vor sich hergesagt hatte. Was wollte er hier? Wieso redete er sich ein, dass er einen Bruder hatte, er hatte doch keinen, oder?
Wie ging der zweite Teil des Satzes nochmal? Ah genau.
Er trat ein und verkündete in voller Lautstärke: „Ich wünsche mir meinen Bruder zurück.“
Alle Anwesenden starrten ihn an, als wäre er verrückt. Nur Lia und Jenny lächelten.
Langsam kamen die Erinnerungen an seinen Bruder zurück. Dann drehte sich der Mann an der Bar um.
„Lars!“, rief Alessio aus und umarmte ihn.
„Hey, lass mich los! Was soll das? Ich bin immer noch wütend auf dich.“
„Dann wird’s Zeit, dass wir uns aussprechen…“, sagte Alessio ruhig und warf seinem Bruder einen entschuldigenden Blick zu.
Lars zuckte mit den Schultern und meinte nur: „hast wohl recht.»

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